金弢:小说《老黄求爱》德文版
—— Der Alte Gelb sehnt sich nach Liebe
Der Alte Gelb vom Dorf Konfuzius-Brücke hieß eigentlich nicht "Gelb", sondern "Grün". Der Grund, warum man ihn "Gelb" nannte, ergab sich, als die Sanitätsstation der Volkskommune eines Tages in einem früheren Jahr ins Dorf kam, um die Bewohner zu untersuchen, wobei die außergewöhnliche Gesichtsfarbe des Alten Gelb festgestellt wurde und den Verdacht aufkommen ließ, es könne sich um Gelbsucht handeln. Es wurde Blut entnommen und zur Laboruntersuchung ins Kreiskrankenhaus geschickt. Das Ergebnis war nicht anders als normal, und damit die ganze Angelegenheit für den Alten Gelb eine überflüssige Aufregung um nichts – jedoch, in einem stillen Dorf wie diesem, war das eine große Sensation. Die Neuigkeit verbreitete sich von Mund zu Mund und der Alte Gelb wurde über Nacht weit und breit bekannt wie ein bunter Hund.
Seit dieser Zeit sprach man ihn nicht mehr mit seinem richtigen Namen an, sondern nannte ihn nur den "Alten Gelb". Im Laufe der Jahre hatte sich der Alte Gelb allmählich an die Anrede seiner Mitmenschen gewöhnt. Ihm schien, als hieße er jetzt tatsächlich nicht mehr "Grün", sondern hätte seinen Namen wirklich in "Gelb" geändert.
Jedes Mal, wenn ihm auf dem schmalen Zickzack-Dorfweg jemand begegnete und ihn ansprach: Alter Gelb, hast du schon gegessen?1 ) Alter Gelb, wohin gehst Du ? So hielt der Alte Gelb eine solche Anrede nicht mehr für bemerkenswert und antwortete wie selbstverständlich: Ich gehe nur schnell zu meiner Privatparzelle. Ich gehe dann gleich wieder nach Hause. Meine Frau hat das Essen schon fertig gekocht.
Nach einer längeren Zeit geriet bei allen langsam in Vergessenheit, woher der Name vom Alten Gelb ursprünglich stammte. Bis zu dem Tag, an dem im Dorf ein Film der revolutionären Musteroper mit dem Titel " Die taktische Eroberung des Tigerberges" aufgeführt wurde, und ein Bühnentext alle Dorfbewohner wieder daran erinnerte, dass der Alte Gelb eigentlich nicht "Gelb" hieß, sondern man ihn "Alten Gelb" nannte wegen seiner ungewöhnlich gelben Gesichtsfarbe. Seitdem riefen ihn die Dorfbewohner nicht mehr "Alter Gelb", sondern nutzten stattdessen spaßeshalber einen Rollentext der Oper und fragten ihn: Wieso bist du wieder gelb geworden?
Anfangs waren es nur einige wenige Spaßmacher im Dorf. Aber nach und nach redeten ihn alle so an, wenn sie ihn trafen. Zuerst konnte sich der Alte Gelb an diese Art Spaß nicht gewöhnen. Er fand, dass man sich über ihn
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1) Das gilt in China als ein Grußwort, wie : Grüß Gott!
lustig machte. Das Gefühl, gefoppt zu werden, war ihm unangenehm. Aber im
Laufe der Zeit akzeptierte er diesen Witz und versuchte sogar seinerseits die
Antwort mit einem anderen Rollentext nachahmend zu benutzen, um dabei
etwas Humor zu entwickeln: Bin gelb, vom gelben Wachs für Kälteschutz!
Der Parteisekretär Li der Produktionsgruppe lobte ihn deswegen im Rundfunk: Der Alte Gelb verstehe das Prinzip: " Spontan gelernt, Spontan umgesetzt" und mache im Dorf Konfuzius-Brücke die revolutionäre Musteroper so weit bekannt, dass sie gang und gäbe würde.
Unter den Dorfbewohnern galt der Alte Gelb als ein Mann mit Schulbildung und einem profunden Wissen. Er hatte zwar nie einen Fuß in die Hochschule gesetzt, besuchte aber in seiner Jugendzeit für ein paar Jahre eine Privatschule. So kannte er nicht wenige alte chinesische Bücher und konnte sogar die kanonisierten klassischen "Vier Bücher"1) und "Die Fünf Klassischen Werke"2) absatzweise auswendig vortragen und war deshalb im Dorf als Gelehrter anerkannt.
Was nun das Thema Liebe betrifft, so gab es im Herzen des Alten Gelb ein tiefes Sehnen nach Liebe. Aber zweierlei darf man hierin nicht miteinander gleichsetzen, nämlich die Sehnsucht des Alten Gelb nach Liebe und die Art und Weise, wie die junge Generation heute ihre Liebe austauscht und einem Ehepartner nachjagt. Schließlich ist der Alte Gelb fast ein halbes Jahrhundert alt - aber er ist nur alt im Äußeren, nicht im Herzen. Seine beiden Schläfen haben die Frostfarbe angenommen, im Herzen sind jedoch seine Jugendjahre stehengeblieben.
Die Jugendlichen aus der Stadt, die über Schulbildung verfügten und sich auf dem Lande niederließen, brachten den einheimischen Bauern die sozialistische Verhaltensweise der Städter. Dass diese jungen Leute ihre Liebe auf ihre Weise praktizierten, z.B. am Dorfbach unter dem Mondschein, oder zwischen den Teesträuchern, oder hinter den dicken Grasbüscheln – wie mutig, wie romantisch sie sind – , das alles kitzelte die Augen der Dorfbewohner und ließ auch dem beglückten Alten Gelb die Frühlingsblüten seines Herzens bersten.
In der Nachbarschaft des Dorfes befand sich das Archiv des Provinzparteikomitees. Dort war die Stadtgarnison stationiert. Um das Zusammengehörigkeitsgefühl von Armee und Volk zu intensivieren und die Beziehung von Fisch und Wasser zu pflegen, begab sich die Befreiungsarmee regelmäßig ins Dorf, um den Bewohnern einen Film zu zeigen. Auf der großen Tenne war eine riesige Leinwand aufgespannt. Die Dorf - und Bergbewohner in einem Umkreis von vielen Kilometern sputeten sich und kamen in Scharen herbei, um den Film anzuschauen. An diesem Abend lief der Film "Die honigsüße Sache", der von der Liebe der jungen Leute und deren Familienplanung erzählte.
Obwohl der Alte Gelb bereits betagt war, vibrierte es in seinen Knochen vor lauter Sehnen nach Liebe. Nach Absprache mit seiner Frau hatten sie, um einen guten Platz zu ergattern, früh zu Abend gegessen, alles Geschirr : ______________________________
1) Das sind: "Die Große Lehre", "Doktrin der Mitte", "Gespräche" und "Mensius".
2) Das sind: "Das Buch der Lieder", "Das Buch der Geschichte", "Das Buch der Riten", "das Buch der Wandlungen" und "Die Frühlings- und Herbst-Annalen". 9
sauber gewaschen und sich selbst herausgeputzt. Sie machten sich, langebevor es dunkelte, zeitig auf den Weg zur Tenne. Kurz bevor sie aufbrachen, schlug der Alte Gelb vor, mit seiner Frau nebeneinander zu gehen. Aber seine Frau lehnte den Vorschlag vehement ab. Sie seien doch schon ein alt gewordenes Ehepaar. Wie konnten sie sich trauen, da noch Schulter an Schulter zu gehen? Wie unanständig das sein müsste! Man würde sich zu Tode schämen und von allen verlacht werden! Seine Frau wollte unbedingt einen Abstand von drei Metern zu ihrem Mann einhalten und ging mit ihm -- er voraus und sie hinterher -- zum Film.
Nach der Vorstellung, wieder zu Hause angelangt, seufzte der Alte Gelb zu seiner Frau gewandt tief ergriffen auf : Schau doch mal, wie interessant das Eheleben jener jungen Leute ist, einfach unvergleichlich süß, während wir täglich ein farbloses, eintöniges Leben führen müssen. Morgens zur Ackerarbeit, beim Überqueren des Dorfflüsschens, trage ich dich; nach Feierabend zu Hause in der Nacht trägst du mich. Immer diese zwei Varianten. Hundert Tage sind sie gleich, tausend Nächte ohne Änderung, weder romantisch, noch erfinderisch, nur langweilige Wiederholung. Jemand hat mir erzählt: Liebe austauschen oder einen Partner wählen, das ist wie ein Seitensprung, der oft nur in pechschwarzer Nacht heimlich und verstohlen passiert. Das Gefühl dabei soll unheimlich gut sein. Bevor ich dich damals zu mir ins Haus holte, konnte ich nicht mal deinen Schatten erblicken. Wie hätte ich mit dir Händchen halten können. Ich habe vorher nicht einmal gewusst, ob dein Gesicht einem Wachskürbis ähnelt oder nach einem Bisamkürbis aussieht. Nachdem du die Schwelle meines Hauses überschritten hast, warst du auf alle Fälle meine Frau, wie eine Schüssel Speise, die auf mich wartet, um früher oder später von mir verzehrt zu werden, ohne Hast, ohne mich mit anderen zu streiten, ohne etwas zu verheimlichen, ohne mich vor fremden Augen und Ohren zu verstecken. Nachdem es dunkel geworden, fällt das Moskitonetz : So fühlt man sich vor fremden Augen sicher. Man tut seine Mannespflicht, mit Fug und Recht, ohne sich beeilen zu müssen, genau wie man eine geschäftliche Routine erledigt . Aber mir fehlt gerade das bißchen Reiz ! Manche behaupten: Für die Liebe soll man sich opfern –- in meinem Leben habe ich noch nie Herzklopfen gehabt.
Seine Frau erwiderte: Was ist denn daran seltsam? Wenn du willst, können auch wir das probieren.
Der Alte Gelb stimmte augenblicklich zu: Na gut! Lass uns so tun, als wären wir frisch verliebt. Wir verabreden uns ganz heimlich. Unser Treffen darf nicht am hellen Tag, sondern muss zu nächtlicher Stunde stattfinden. Nachdem die Hunde und Hühner still geworden, und die Dorfbewohner alle eingeschlafen sind, schleiche ich mich diebisch zu dir. Ich darf nicht den Haupteingang benutzen, ich werde zum Fenster hinein klettern, genau wie ein Dieb. Du wartest hinter dem Fenster, aber mach' kein Licht. Ich klopfe leise einmal ans Fenster und du klappst vorsichtig die Fensterblätter nur einen Spalt breit auf. Ich recke meinen Kopf hinein und gebe dir zuerst ein liebes Küsschen. Dann umarmen wir uns gegenseitig und ich krieche anschließend durchs Fenster ins Haus. Wir schleichen uns auf Zehenspitzen gemeinsam ins Bett. Alles muss geräuschlos ablaufen, die Nachbarn dürfen nichts davon mitbekommen. Uhh, das Gefühl dabei wird unheimlich gut sein.
Einen schrägen Blick auf den Alten Gelb werfend, dessen Gesicht frohlockend und triumphierend strahlte, entschlüpfte seiner Frau die Bemerkung: Schamlos! Aber insgeheim überlegte sie: Warum soll man es nicht probieren, wenn es tatsächlich so ein prickelndes Gefühl hervorruft.
Das alte Paar entschied sich für eine Nacht mit dunklem Wind und hohem Mond. Es war gerade gegen Mitternacht. Der Alte Gelb tat so, als wäre er in tiefer Finsternis von weit her getappt. Er pochte ganz sacht ans Fenster. Als sie das Zeichen wahrgenommen, klappte seine Frau leise die Fensterblätter auf. Der Alte Gelb reckte seinen Kopf durch den Spalt. Während beide das Liebesküsschen austauschten und sich gerade um den Hals fallen wollten, wurde der Holzstock, der das aufgeklappte Fenster stützte, aus Unvorsichtigkeit weggeschoben. Schlagartig und blitzschnell sausten die Fensterblätter herunter und schlugen schwer auf den Hinterkopf des Alten Gelb. Mit einem Schmerzenslaut rutschte der Alte Gelb vom Fensterrahmen ab und fiel auf die Erde. Seine Frau stieß einen gellenden Schrei aus und weckte damit die schlafenden Nachbarn.
Mit Fackeln in der Hand sammelten sich die Dorfbewohner und fanden den auf dem Boden liegenden Alten Gelb. Er hatte einen Schlaganfall erlitten. Er befand sich zwar außer Lebensgefahr, war aber halbseitig gelähmt.
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Von da an murmelte der Alte Gelb jedes Mal, wenn die Jugendlichen aus der Stadt vor seinem Haus vorbeigingen vor sich hin: Ich habe mich doch für die Liebe geopfert !
Einige Jahre waren vergangen und die Jugendlichen mit Schulbildung wurden nach und nach wieder in die Stadt zurückgeschickt. Sie nahmen den romantischen Stil der Stadtbewohner wieder mit nach Hause und hinterließen dem kleinen Bergdorf seine althergebrachten, schlichten Sitten --- und den halbgelähmten Alten Gelb.
Wieder waren mittlerweile zwanzig Jahre verstrichen, als jene Jugendlichen mit Schulbildung aus der Stadt ins Dorf zurückkehrten zu Besuch, da murmelte der Alte Gelb immer noch vor sich hin: Ich habe mich doch für die Liebe geopfert !
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